Luftverschmutzung schadet Kinderaugen – eine neue Studie zeigt den Zusammenhang
- Pi San Capatt
- 7. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Kurzsichtigkeit, medizinisch Myopie genannt, nimmt weltweit dramatisch zu. Während genetische Veranlagung, zunehmende Bildschirmzeiten und Bewegungsmangel schon länger als Risikofaktoren gelten, rückt nun ein weiterer Faktor in den Fokus der Forschung: Luftverschmutzung.
Eine aktuelle Studie aus China, veröffentlicht im Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), liefert neue Hinweise darauf, dass Schadstoffe in der Atemluft direkten Einfluss auf das Sehvermögen von Kindern haben können. Die Forscherinnen und Forscher analysierten die Daten von fast 30’000 Schulkindern aus der Grossstadt Tianjin und stellten fest: Bessere Luftqualität hängt eindeutig mit besserem unkorregierten Sehvermögen zusammen – also der Sehschärfe ohne Brille oder Kontaktlinsen.
Machine Learning enttarnt die unsichtbare Gefahr
Besonders bemerkenswert an dieser Studie ist nicht nur ihre Grösse, sondern auch ihr methodischer Ansatz. Statt traditioneller statistischer Verfahren wurde ein sogenanntes AutoML-Modell eingesetzt. Eine Form des maschinellen Lernens, die komplexe Zusammenhänge in grossen Datenmengen erkennen kann. Berücksichtigt wurden neben dem Luftverschmutzungsgrad auch genetische Faktoren, Bildungsniveau, Bildschirmzeit, Schlafverhalten, sportliche Aktivität sowie Grünflächen rund um die Schulen.
Das Ergebnis war eindeutig: Kinder, die weniger Feinstaub (PM2.5) und Stickstoffdioxid (NO₂) ausgesetzt waren, wiesen im Schnitt eine bessere Sehleistung auf. Besonders profitierten jüngere Kinder im Grundschulalter sowie Kinder mit milder oder mittlerer Kurzsichtigkeit. Bei älteren Schülern oder bereits stark kurzsichtigen Kindern war der Effekt schwächer. Dies ist ein Hinweis darauf, dass frühzeitige Prävention besonders wirksam sein könnte.
Wie schädigt verschmutzte Luft das Auge?
Die Autoren der Studie sehen mehrere mögliche Mechanismen, durch die Luftschadstoffe das kindliche Auge beeinflussen können. Stickstoffdioxid kann Entzündungen auf der Augenoberfläche fördern. Feinstaub wiederum erhöht den oxidativen Stress, welches ein Zustand ist, bei dem Zellen durch aggressive Sauerstoffverbindungen geschädigt werden. Beides stört die gesunde Entwicklung des Augapfels. Zudem reduziert Luftverschmutzung die Lichtqualität im Freien, was wiederum das Sehtraining der Augen und die Ausschüttung wichtiger Botenstoffe wie Dopamin beeinträchtigen kann.
Biologisch betrachtet ist der Zusammenhang also plausibel und besonders relevant für Kinder, deren Augen sich noch im Wachstum befinden. Ihre Sehsysteme sind empfindlicher gegenüber Reizen, gleichzeitig aber auch noch formbar. Das bedeutet: Wer frühzeitig für saubere Luft sorgt, kann das Fortschreiten der Myopie möglicherweise verlangsamen.
Schulen und Städte sind gefordert
Die Studie betont, dass Kinder einen Grosseil ihrer Zeit in oder in der Nähe von Schulen verbringen. In China im Schnitt rund zehn Stunden täglich. Die Autoren plädieren daher für gezielte Massnahmen, um die Luftbelastung an diesen Orten zu senken. Genannt werden unter anderem mobile oder zentrale Luftfiltersysteme in Klassenzimmern, Verkehrsbeschränkungen rund um Schulgelände sowie die Förderung von Grünflächen.
Diese Massnahmen hätten nicht nur einen positiven Einfluss auf das Sehvermögen, sondern könnten auch weitere Vorteile bringen: ruhigere Lernumgebungen, besseres Konzentrationsvermögen, geringere Belastung durch Allergene und allgemein bessere Gesundheit.
Luftqualität als gestaltbarer Faktor
Der vielleicht wichtigste Aspekt dieser Studie: Im Gegensatz zu genetischen Faktoren lässt sich die Luftqualität beeinflussen. Das macht sie zu einem besonders wertvollen Hebel für die Gesundheitsprävention im Kindesalter. Durch politische Massnahmen, technische Innovationen und bewusstes Gebäudemanagement lassen sich konkrete Verbesserungen erzielen– und das nicht nur in Ostasien, sondern auch in europäischen Städten mit steigender Myopiequote.
Myopie ist nicht mehr nur ein individuelles Sehproblem – sie ist ein gesellschaftliches Phänomen mit wachsender gesundheitlicher und wirtschaftlicher Relevanz. Die neue Studie aus China unterstreicht, wie eng Umweltfaktoren wie Luftqualität mit der Entwicklung des kindlichen Sehens verknüpft sind. Frühzeitige Investitionen in gesündere Lernumgebungen – insbesondere saubere Luft – zahlen sich langfristig aus. Für Kinder. Für Familien. Für die Gesellschaft.
Quelle der Studie:
Zhang et al. (2024): “Air pollution and visual acuity in school-aged children: A machine learning approach.” Veröffentlicht auf PMC – National Library of Medicine



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